Freie Medien für mehr Transparenz und Entwicklung

Journalismus zwischen Hoffen und Bangen: Beispiel Philippinen

Benjamin Leers, Köln/Deutschland

Benjamin Leers, Köln/Deutschland. Foto: B. Leers

Raymund Villanueva erinnert sich noch immer mit Schrecken an den 02. Juli 2006. Am frühen Morgen dieses Sonntags wurde das kleine Funkhaus des von ihm mit aufgebauten Community Senders „Radyo Cagayano“ komplett niedergebrannt. Gegen zwei Uhr drangen acht vermummte Soldaten auf das Gelände in der Kleinstadt Baggao im Norden der Philippinen ein, fesselten und knebelten die Mitarbeiter und setzten die gesamte Station mit Benzin in Brand. Radyo Cagayano hatte erst wenige Wochen zuvor mit den Sendungen begonnen und sich vor allem für die Interessen der ortsansässigen Bauern eingesetzt. Bis heute konnte Radyo Cagayano nach einem Mord an einem Mitarbeiter und schweren Repressalien die Arbeit nicht wieder aufnehmen. Raymund Villanueva unterstützte den Sender mit technischem Equipment und Know-How, nachdem sein eigenes Radioprogramm noch am Tag des Notstandsgesetzes  vom 24. Februar 2006 durch die Regierung verboten wurde.

Auf den Philippinen wird besonders deutlich, dass politische oder wirtschaftliche Abhängigkeiten und Restriktionen gegenüber Journalisten oft einen großen Einfluss auf die freie Berichterstattung haben. Allerdings ist ein unabhängiges und vielfältiges Mediensystem eine Vorraussetzung, um die UN-Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen. Ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung eines Landes und der Freiheit der Presse ist statistisch nachgewiesen. Unabhängige Medien sind daher unverzichtbare Elemente einer Demokratie, die eine nationale Identität schaffen und eine lebendige Zivilgesellschaft fördern können.

Das kleine Dorf Batad liegt in 3000 Jahre alten Reisterrassen – Strom gibt es nicht

Das kleine Dorf Batad liegt in 3000 Jahre alten Reisterrassen – Strom gibt es nicht. Foto: B. Leers

Die Präsidialdemokratie der Philippinen ist seit Jahrzehnten ihre traurige Rolle als eines der gefährlichsten Länder für Journalisten nicht losgeworden. Schon in den Jahren des Kriegsrechts unter Diktator Ferdinand Marcos wurden 30 Journalisten auf dem Archipel getötet. Auch nach dem Ende des Regimes hat sich eine gewisse Kultur gewaltsamer Übergriffe und Korruptionsfälle unvermindert aufrecht erhalten und behindert bis heute die Entwicklung einer tatsächlich freien Presse beträchtlich. Selbst 23 Jahre nach der Revolution ist die Gewalt gegenüber Journalisten noch immer auf einem erschreckend hohen Niveau: 77 Medienvertreter sind laut dem Center for Media Freedom and Responsibility seit 1986 im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ermordet worden, allein 42 in der Regierungszeit der amtierenden Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo seit 2001.

Radiojournalisten sind besonders stark den Repressalien und der Gewalt ausgesetzt, weil sie häufig und offensiv über Vetternwirtschaft und illegale Machenschaften von lokalen Regierungsmitgliedern, Polizisten oder Verwaltungsbeamten berichten. Der Fall von Dennis Cuesta ist leider ein gängiges Beispiel: Im August 2008 wurde der 38jährige Radiojournalist in General Santos City auf offener Straße vor den Augen seines Kollegen Bob Flores von einem Attentäter auf einem Motorrad regelrecht hingerichtet. Cuesta hatte Kritik an der mangelnden Überschwemmungsprävention der Stadt geübt und berichtete über illegales Glücksspiel, in das auch die örtliche Polizei verwickelt sein sollte. Dies könnte ihm letztlich zum Verhängnis geworden sein. Bisher gab es keine konkreten Ermittlungsergebnisse – vermutlich, weil viele von ihnen mit dem Bürgermeister oder der Polizei in Verbindung stehen. Auch Flores ist als Zeuge seitdem unter ernsthafter Bedrohung und in ein Zeugenschutzprogramm in Manila geflüchtet.

Der Ortsteil Quiapo in Manila ist ein gängiges Einkaufszentrum der Mittelschicht

Der Ortsteil Quiapo in Manila ist ein gängiges Einkaufszentrum der Mittelschicht. Foto: B. Leers

Die Umstände des Mordes an Dennis Cuesta entsprechen dem typischen Muster auf den Philippen: Ein Journalist wird erschossen, die lokale Polizei ermittelt nur sehr zögerlich oder manipuliert sogar die Hinweise auf bestimmte Verdächtige, z.B. wenn diese einflussreiche Lokalpolitiker sind. Die Zeugen der Verbrechen werden bedroht, bestochen oder ebenfalls getötet, damit sie keine Aussage vor Gericht machen können, was weitere Zeugen einschüchtert. Der Fall bleibt letztendlich ungelöst und verstärkt so die Kultur der Straflosigkeit für die Morde an Journalisten.

Die Folgen der Straflosigkeit für die Verbrechen sind Selbstzensur der Journalisten hinsichtlich brisanter Themen, der Einstieg in den Teufelskreis der Korruption, bei dem die Medienvertreter im Sinne des Meistbietenden schreiben beziehungsweise die Berichterstattung unterlassen sowie die eigene Bewaffnung, welche sämtliche Objektivität zunichte macht und schnell zu Missbrauch führen kann. Journalistische Unabhängigkeit und faire Berichterstattung werden der Bedrohung oder finanziellen Interessen geopfert. Verleumdungsklagen verhindern die Aufdeckung von Korruption und anderen Missständen. Die enorme Profitorientierung und starke Konkurrenzsituation innerhalb des philippinischen Mediensystems schwächen die Qualität der Berichterstattung, da gute, mutige Journalisten gegen günstige, schlecht ausgebildete ausgetauscht werden. All diese Phänomene manifestieren eine journalistische Kultur, die einer Demokratie bei weitem nicht würdig ist. Für die Bevölkerung ist es schwierig, sich eine informierte politische Meinung zu bilden und angemessen auf Missstände in der Gesellschaft zu reagieren. Eine funktionierende Zivilgesellschaft wird auf diese Weise verhindert.

Die Jeepneys gehören seit dem Zweiten Weltkrieg zur Popkultur

Die Jeepneys gehören seit dem Zweiten Weltkrieg zur Popkultur. Foto: B. Leers

Vielen Journalisten auf den Philippinen und in anderen Ländern, in denen ähnliche Verhältnisse herrschen, muss man die widrigen Umstände, unter denen sie arbeiten, zugute halten. Man muss schon viel Idealismus mitbringen, um in einer verrufenen und wenig geschätzten Profession für eine äußerst geringe Bezahlung eine anstrengende und nicht selten gefährliche Arbeit zu verrichten. Doch glücklicherweise gibt es viele Idealisten wie Raymund Villanueva, die den Journalismus als eine Art akademische Tätigkeit interpretieren. Solchen Journalisten ist es zuzutrauen, der Bevölkerung Themen wie die Menschenrechte und die UN-Milleniumsziele zu vermitteln, zu erklären und kreative Wege aufzuzeigen, die zu deren konkreter Umsetzung beitragen. Erfahrungen haben gezeigt, dass die Milleniumsziele abstrakt und damit nicht attraktiv für die Rezipienten sind. Doch wenn die Journalisten es schaffen, die großen Ziele auf die Ebene der einfachen Bevölkerung und deren lokalen Belange herunterzubrechen, wird eine angemessene Berichterstattung über und eine Bewusstseinsschaffung für die Milleniumsziele möglich. Doch man muss den Journalisten die Chance geben, frei und unabhängig zu informieren. Oft ist das beispielsweise über Community Radios möglich, die einen Gegenpol zu den kommerziellen Radiosendern auf den Philippinen einnehmen und laut Prativa Chhetri von der World Association of Community Radio Broadcasters durch die Entwicklung einer funktionierenden Gesellschaft auch zur Entwicklung des Landes beitragen.

Die Philippinen sind bekannt für tolle Strände und Buchten wie auf Palawan

Die Philippinen sind bekannt für tolle Strände und Buchten wie auf Palawan. Foto: B. Leers

Die Situation auf den Philippinen schwankt zwischen Hoffen und Bangen. Appelle wie die des UNESCO-Generalsekretärs Koichiro Matsuura auf einer Konferenz im September 2009 haben bisher zur Aufklärung der Morde und zum Schutz der Freiheitsrechte auf den Philippinen leider wenig Erfolg gebracht. Dennoch ist es wichtig, die Probleme international nicht aus dem Blick zu verlieren und einen Mentalitätswechsel bei den Regierungen zu fördern, damit journalistische Berichterstattung verstärkt als ein positives Gut gesehen wird. Maßnahmen unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dürfen keine Entschuldigung für die staatliche Einschränkung einer gewissenhaften Berichterstattung sein – und zwar nirgendwo auf der Welt.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Vereinten Nationen in ihrem aktuellen Bericht zum Stand der Milleniumsziele fordern, die modernen Kommunikationsmöglichkeiten  noch besser für die Menschen in Entwicklungsländern zugänglich zu machen. Ende 2007 gab es zwei Milliarden Mobiltelefonanschlüsse in Entwicklungsländern, das entspricht etwa 39 Prozent der Bevölkerung dieser Länder. Diese hohe Zahl bietet ein enormes Potenzial zur schnellen Verbreitung von Nachrichten oder Warnungen vor Naturkatastrophen. Auch das Internet ist in den Entwicklungsländern ein Werkzeug, um an den Milleniumszielen zu arbeiten und die dafür nötige Medienfreiheit zu stärken. Erinnert sei hier an die Organisation von Demonstrationen im Juni 2009, die als Protest auf die Präsidentenwahl im Iran aufbrandeten. Traditionelle Medien hatten keine Chance gegen das Regime, doch die vielen mutigen Twitter- und Facebook-Nutzer konnten nicht eingedämmt werden. Die zahlreichen Falschmeldungen, die über die neuen Kanäle kamen, haben allerdings gezeigt, dass die Rolle von Journalisten auch heutzutage keineswegs aufgehoben werden kann.

Raymund Villanueva weiß um das Potenzial der neuen Medien und nutzt sie nach den Restriktionen gegen die klassischen Formen besonders stark. Mit seiner gemeinnützigen Firma Kodao verfolgt er einen multimedialen Ansatz, produziert Dokumentarfilme und Radiofeatures, führt Journalistenweiterbildungen durch und bietet technische Unterstützung, um auf diese Weise ein Netzwerk von audiovisuellen Bürgermedien zu fördern. Der Taifun Ondoy am letzten Septemberwochenende und dessen verheerende Auswirkungen auf die Hauptstadt Manila machten deutlich, dass ein vielfältiges Netzwerk unabhängiger Journalisten und Medien, sowie individueller Blogger, Twitterer und Mobiltelefonnutzer eine enorme Bedeutung für die Katastrophenhilfe und den Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft in Entwicklungsländern haben. Damit sind sie starke Faktoren zur Erreichung der UN-Milleniumsziele. Raymund Villanueva ist sich zudem sicher, dass die demokratische Entwicklung und die Freiheit aller Formen des Journalismus auf den Philippinen parallele Wege gehen und einander bedingen. Welche Richtung diese Wege einschlagen, ist ungewiss.

Benjamin Leers

Benjamin Leers, Autor und Producer für Dokumentarfilme in Köln, Deutschland. Verbrachte zehn Monate auf den Philippinen und engagiert sich für Partnerschaftsprojekte in Tansania. Autor des Buches „Zwischen Selbstzensur, Korruption und Bewaffnung. Konsequenzen der Gewalt an Medienvertretern am Beispiel lokaler Radiojournalisten in der philippinischen Provinz. LIT-Verlag, 2009.

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Ewald Scharfenberg, Caracas/Venezuela, Journalist und Berater für Medien und Entwicklung, war zehn Jahre lang Korrespondet in Caracas für Reporter ohne Grenzen, derzeit ist er geschäftsführender Direktor des Instituts für Presse und Gesellschaft in Venezuela (IPYS).

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