Freie Medien für mehr Transparenz und Entwicklung

Eine unerhörte Geschichte

Blog: John Samuel
Blog von: John Samuel

In einer stark korporativ ausgerichteten Welt sind Medien vor allem Mittler auf dem Markt. Diese Vermittlungsfunktion der Medien folgt den Gesetzen von Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Nachrichten, Standpunkte und Unterhaltung. In Indien, Thailand und den meisten asiatischen Ländern landen politisch kontroverse Themen, Nachrichten über Prominente, Skandale und mysteriöse Morde auf der Titelseite. Themen, die die Mehrheit der Bevölkerung betreffen, werden zur Seite geschoben oder sie tauchen tief im Innenteil einer Zeitung auf, einspaltig oder sie flimmern nur sehr kurz über die Bildschirme.

Diese Form der Medienvermittlung hängt auch von der Mittelschicht selbst ab sowie von den bestehenden Beziehungen in der Gesellschaft. Was so oft als „Zivilgesellschaft“ bezeichnet wird, ist tatsächlich ein Spiegelbild aus Medien, Markt und Mittelschicht. Denn die sozialen Einstellungen und die Psychologie einer bestimmten Gesellschaft wird von Medien mitgestaltet, einschließlich der medial vermittelten Werbung, der Bilderflut, der Interessen der Mittelschicht und der Markttendenzen.

So kommt es, dass vom Markt abhängige Medien, die zum großen Teil wiederum auf Neigungen und Interessen der Verbraucher Rücksicht nehmen müssen, tendenziell unglückliche Geschichten über Armut, Kastenunterschiede, Geschlechterdiskriminierung sowie Stigmatisierung und Gewalt gegen die Armen ignorieren.

Die dominanten Medien in Indien sind mehr darauf aus, das strahlende Image ihres Landes zu verbreiten, als das wimmernde Indien zu zeigen. Woher sollen auch Journalisten, die zur gehobenen Mittelschicht gehören und eifrig nach Themen aus der Welt des Glamour und Klatsches für die Unterhaltungsparten jagen müssen, noch die Zeit nehmen, auch nur einen Blick in die kleine Hölle der Slums, des Gestanks und Drecks zu werfen? Geschichten über das Paradies auf Erden verkaufen sich – Geschichten über die Hölle auf Erden haben keinen Marktwert.

Die Forderung nach freien Medien ist in einer stark am Wettbewerb orientierten Welt, die stets auf Werbung, Auflagenhöhe und Börsenwerte angewiesen ist, genau genommen zum Mythos geworden. Am Ende eines Tages sind die Medien mehr mit sich selbst und dem erwirtschafteten Gewinn beschäftigt, als mit dem Leben der Menschen. Die Rechenschaftspflicht der freien Medien gilt deshalb oft den Medieneignern und Shareholdern und nicht gegenüber den Bedürftigen im Land. Zeitungen sind zum Produkt geworden, die andere Produkte verkaufen – auch Positionen und Nachrichten zählen dazu. Leser, Zuschauer und Menschen werden zu Konsumenten von Nachrichten und Standpunkten – ein Marktplatz für Einkauf und Verkauf.

Obwohl Millionen in den Slums der indischen Metropolen leben, haben Journalisten diese Slums erst über die Glamourwelt des Oscar gekrönten Films Slumdog Millionaire entdeckt. Und selbst dabei waren die meisten Journalisten mehr an dem Millionärs-Anteil interessiert als and den Slumdogs, die man lieber unter den Teppich kehrte.

Die Distanz zwischen den Geschichten über Millionäre und den UN-Millennium Entwicklungszielen ist zu groß für die Recherche. Es ist die Distanz der sich weiter öffnenden Schere der Ungleichheit. Es ist die Distanz zu den ungehörten und nicht erzählten Geschichten sterbender Kinder, Mütter, Dörfer, schmutziger Straßen und Tod bringender Trockenheit. Wer früh am Morgen mit dem Zug nach Mumbai fährt, kann dem schrecklichen Gestank nicht entkommen: Mumbai am Morgen stinkt nach frischem Kot. Während das strahlende Indien damit beschäftigt ist, sich in Marmorbädern ihrer strahlenden Hochhäuser zurecht zu machen, hat das wimmernde Indien schlicht weder Trinkwasser noch die dürftigste Waschmöglichkeit.
So müssen sich die Slumbewohner in der Nähe der Zuggleise erleichtern.

Die Millennium Entwicklungsziele sind für Bewohner aus Dharavi – einem der größten Slums in Asien – so fremd wie eine exotische Frucht oder der letzte Thriller aus Hollywood. Diese Bewohner sind nur damit beschäftigt, ihre nächste Mahlzeit zu organisieren, den nächsten Monsun oder die nächste Flut zu überleben, oder die wachsende Krankenhausrechnung zu bezahlen. Sie suchen nach einer Intimsphäre für ihre Toilette. Daran sind die Medien nicht interessiert. Es ist allzu depressiv. Stattdessen richtet sich die Aufmerksamkeit auf das letzte Abendkleid oder Modezitate von indischen Schauspielern.

Was also den Medien fehlt, sind Berichte über die Menschen selbst, über ihre Entbehrungen und ihr Leben in den dunkelsten Ecken der Slums. Es fehlt an einer grundlegenden Ethik und Rechenschaftspflicht. Es fehlen jene Millionen, für deren Wohl die UN-Millenniumsziele aufgestellt wurden.

Die Millennium Entwicklungsziele sind sichtbarer in den klimatisierten Räumen, wo sich smarte Entwicklungsexperten akribisch um Details ihrer sorgfältig erstellten Powerpoint-Präsentationen kümmern.

Ein Teil des Problems sind die Medien, ein anderer Teil des Problems ist die Art, wie die UN-Millenniumsziele verpackt und kommuniziert werden.

Deshalb ist es so wichtig für die Erreichung der UN-Entwicklungsziele, die ungehörten und nicht erzählten Geschichten der Menschen in der realen Welt der Ballungsräume und Elendsviertel zu entdecken. Weder wird der größte Profit noch die beste Powerpoint-Präsentation etwas für diese Menschen bewegen, wenn nicht klar wird: Die Pflicht zur Rechenschaft und Verantwortung bezieht sich nicht auf Markttendenzen, Erwartungen der Shareholder und die Erfüllung abstrakter Indikatoren – die Rechenschaftspflicht muss auf Menschen ausgerichtet sein. Slumdog Millionaire hat wieder einmal gezeigt: Versteckte Geschichten zu erforschen, bringt durchaus Erfolg. Wie viele Berichte haben nach der Preisverleihung verfolgt, wie das Leben der Menschen aus dem Film in der nackten Wirklichkeit weitergeht?

John Samuel
Internationaler Leiter von Actionaid
und Infochange News and Features

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Milind Kokje, Mumbai/Indien, Koordinator des Asia Media Forum, Journalist mit mehr als 25 Jahren multimedialer Erfahrung in Nachrichtenagentur (PTI), Zeitung (Times of India), Internet (Indiatimes) und TV-Nachrichten (Zee news).

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