Freie Medien für mehr Transparenz und Entwicklung

Asiens Medien-Erneuerer

Janala“ heißt „Fenster“ auf Bangla und bietet dreiminütige Hörübungen und Rätsel an, die durch Textmittelungen im Mobilfunk übermittelt werden. Eine dieser Übungseinheiten kostet 7 Cent. Menschen in Bangladesch bekommen so mittels Handy Zugang zu ganz neuen Bereichen der Fort- und Weiterbildung. Der Australische Professor und Journalist Stephen Quinn hat Innovationen in den Asiatischen Medien untersucht. Der MDG-Medien-Blog fragte nach den wichtigsten Ergebnissen:

Was sind die auffälligsten Erkenntnisse ihrer Analyse „Asia’s Media Innovators“ (Asiens neue Medienmacher)?

Stephen Quinn: In Asiens Medienlandschaft sind in den letzten Jahren viele Neuerungen entstanden. Von Südkorea bis Indonesien über Indien und China setzen innovative Medienunternehmen Zeichen und betonen die Beziehung zwischen Technologie und Medien.

Doch um die neuen Konzepte weiter entwickeln zu können ist eine gute Infrastruktur notwendig. Die Journalisten, die die Inhalte der Beiträge bestimmen, müssen professioneller ausgebildet werden. Entscheidend ist, dass die Journalisten und ihre Auftraggeber die Vorstellung verinnerlichen, dass das Lernen ein lebenslanger Prozess ist, anstatt zu glauben, dass es mit dem Verlassen der Schule oder der Universität zu Ende ist. Die Bildungsrate der Bevölkerung ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Nur durch eine gute Ausbildung können die Menschen die Inhalte der Beiträge überhaupt aufnehmen und verstehen, während die Höhe des Einkommens bestimmt, inwiefern sich die Menschen die grundlegenden Zugangsvoraussetzungen wie Fernseher, Computer, Handys und Internetzugänge leisten können. Generell gilt: Je besser die technische Infrastruktur ist, desto anspruchsvoller und innovativer sind auch die journalistischen Beiträge im Internet. Das Gleiche gilt für die menschlichen oder „weichen“ Aspekte einer Kultur. Je besser die Journalisten ausgebildet sind und je höher der Grad der Meinungs- und Pressefreiheit ist, desto besser ist der Journalismus.

Aus meinen Darstellungen in dem Buch „Asia’s Media Innovators“ geht hervor, dass Malaysia, China und Singapur über keine freie Presse verfügen, während Indien, Thailand, die Philippinen und Südkorea eine pulsierende und freie Presse haben. Es kann also festgestellt werden, dass ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen journalistischen Arbeit in der freien Meinungsäußerung bei gleichzeitigem Zugang zu ausreichenden Informationen liegt.

Das Beispiel Indonesien zeigt, was passieren kann, wenn die Medien frei und unabhängig werden. Bis zum Fall von Suharto im Jahr 1998 waren die Medien in Indonesien stark durch ein paar Eigentümer, die zu mächtigen Familien des Landes gehörten, kontrolliert. Unter Suharto brauchten die Zeitungen eine Genehmigung zur Veröffentlichung ihrer Beiträge und nur diejenigen, die den Ansprüchen der Regierung entsprachen, bekamen solch eine Lizenz. Im Jahr 1998 gab es weniger als 300 Zeitungen und auch das Radio wurde streng kontrolliert. Während Suhartos Herrschaft gab es einen Regierungskanal und drei private Netzwerke, die durch seine Kinder kontrolliert wurden. Nach Suhartos Rücktritt und der langsamen Etablierung demokratischer Strukturen verfügt Indonesien heute nun über mehr als 2000 Zeitungen und erlebt ein starkes Anwachsen der Radiosender. Im Jahr 2007 verfügte das Land über mehr als 10 gewerbsmäßige Fernsehnetzwerke.

Durch meine Untersuchungen bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es für die Regierungen entscheidend ist, der Ausbildung und dem Training im Bereich Kommunikations- und Informationstechnologien besonderen Stellenwert beizumessen.
Südkorea stellt ein klassisches Beispiel für den Zusammenhang zwischen Bildung und Wirtschaftswachstum dar. Das Land verfügt über fast keine natürlichen Ressourcen, legt aber großen Wert auf die Bildung ihrer Bürger und hat eine fleißige Bevölkerung. Der Anteil der Menschen, die nach der High School auf eine Universität gehen, ist nirgendwo so hoch wie in Korea. Gemessen an dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist Korea ein entwickeltes Land. Jedoch war die Wirtschaft Koreas nach der japanischen Besetzung 1945 vollständig zerstört. Große Teile der Infrastruktur wurden durch den Koreakrieg von 1950-53 komplett vernichtet. Noch nach 1960 lag dass durchschnittliche pro Kopf Einkommen Südkoreas hinter Ländern wie Nigeria oder Bangladesch.

Wenn sie die technologischen Herausforderungen annehmen, werden asiatische Medienunternehmen eine große Zukunft vor sich haben in einer Region, die sich vielversprechend entwickelt. „Asien wird die zukünftigen globalen Entwicklungen entscheidend mitbestimmen“, sagt Brahma Chellaney, Professor des politikwissenschaftlichen Forschungsinstitutes in Delhi. Das „neue Great Game“, das wir gerade mitverfolgen, könne die künftige Weltordnung stark beeinflussen. Historisch gesehen war Asien sehr wohlhabend. Vor etwa 150 Jahren stellten China und Indien 50% des Weltsozialprodukts, jedoch verpassten sie die Fortschritte während der industriellen Revolution. Im Laufe des neuen Jahrhunderts kehrte Asien wieder zu einer wichtigen Position zurück und stellt heute etwa 40 % des Weltsozialprodukts. In Asien leben 60% der Weltbevölkerung.

Welche neuen Methoden der Berichterstattung haben sie erkannt und inwiefern hat sich die journalistische Arbeit in Inhalt und Form durch diese verändert?

Stephen Quinn: Mir sind einige Erneuerungen in Bezug auf den Gebrauch neuer digitaler Technologien aufgefallen. Zeitungen in Malaysia zum Beispiel, verschicken Nachrichten via Textmitteilungen und machen mit diesem neuen Konzept viel Gewinn. In Thailand berichten einige Nachrichtenreporter in eigenen Blogs, sodass die Auflagen der Zeitungen, in Verbindung mit den Blogs, gestiegen sind. Journalisten von „Ohmy News“ in Südkorea benutzen „wibro“, einen sehr schnellen Internetzugang, der direkte Übertragungen von medialen Großereignissen im Internet ermöglicht. Ich schreibe zurzeit an der zweiten Ausgabe von „Asia’s Media Innovators“, und mir ist dabei aufgefallen, dass soziale Medien und Netzwerke in Asien intensiv genutzt werden. Auch dies sind neue Möglichkeiten der Nachrichtenübertragung. So können Handys beispielsweise nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zum Nachrichtenaustausch verwendet werden.

Inwiefern hat innovativer Journalismus Auswirkungen auf die öffentliche Meinung und das politische Leben?

Stephen Quinn: Einfluss auf die Politik kann aus den Inhalten entstehen, die durch Privatpersonen in Umlauf gebracht werden. Mit immer mehr Handys ist es mittlerweile möglich sowohl Bilder, als auch Videos aufzunehmen und zu übermitteln. Privatpersonen laufen so Gefahr, in quasi jeder Situation gefilmt oder fotografiert zu werden.

Wahrscheinlich besitzt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ein Handy und die Hälfte dieser Handys hat eine Kamera integriert. Bald werden alle Handys eine Kamera haben. Allgemein wird angenommen, dass Asien in den nächsten Jahren der größte Markt für Mobilfunktelefone sein wird. Dies bedeutet, dass die Gesellschaft sich zu einer großen Kraft entwickelt, die selbst in der Lage ist, Nachrichten und Ereignisse durch ihre Handykameras zu dokumentieren und zu veröffentlichen.

Während Im Jahr 2009 383 Millionen Menschen in China einen Internetzugang hatten, verfügten Anfang 2010 mindestens 730 Millionen Menschen über ein Handy. Somit erscheint es mir sehr schlüssig, die Mobilfunktelefone als Medium der Vermittlung von Wissen und Bildung zu nutzen. In diesem Zusammenhang gibt es einige neue Versuche zum Beispiel in Peking und Bangladesch. Darum geht es u.a. im zweiten Teil meines Buches.

In Indien stieg der Anschluss an Handyverträgen auf 392 Millionen im April 2009. Die meisten Inder bevorzugen es, Kurzmittelungen zu schreiben, anstatt die Gesprächspartner direkt anzurufen, da das Verschicken von Kurzmittelungen günstiger ist. Die Menschen gebrauchen die Textnachrichten für verschiedenste Angelegenheiten. Dazu gehört unter anderem das Prüfen der Bankkonten, das Bezahlen von Rechnungen sowie das Einholen von Informationen über verspätete Züge und Flüge. Statistiken zu Folge senden Inder im Durchschnitt etwa 29 SMS pro Monat. Wenn diese Zahl mit der stetig wachsenden Anzahl an Handybesitzern multipliziert wird, kann man eine Vorstellung von dem immensen Potential dieses neuen Mediums bekommen.

Globalisierte Kommunikation verstärkt den Druck auf das schnelle Erfassen von Informationen und Nachrichten. Die Kluft zwischen professionellem und zivilgesellschaftlichem Journalismus ist sehr groß. Wie kann unter diesen Umständen ein guter Journalismus erhalten bleiben?

Stephen Quinn: Eine der wichtigsten Entwicklungen ist der große Anwachs publikumsgenerierter Inhalte, was einige Leuten als „Bürgerjournalismus“ bezeichnen. Medien veröffentlichen Beiträge ihrer Leser oder Hörer. Die Menschen, die Beiträge erstellen, werden dafür in der Regel nicht bezahlt. Das bekannteste Beispiel für diese neue Form des Journalismus ist wahrscheinlich „Stomp“ in Singapur. Etwa 75-80% der Artikel auf der Webseite stammen von den eigenen Lesern. Stomp sei eine alternative Stimme, sagte Felix Soh, der für die digitalen Medien der Mutterfirma „Singapur Press Holdings“ (SPH) verantwortlich ist. Weiter führt er aus, dass Stomp nicht mit dem Journalismus der zugehörigen Printausgabe „The Straits Times“ zu vergleichen sei. Aber er sei eine Art des Journalismus, der etwas mit dem direkten Leben der Menschen zu tun habe. Menschen rufen entweder an, schreiben eine E-Mail oder schicken eine SMS an Stomp. Anschließend werden sie von einem Mitarbeiter interviewt, der die Geschichte neu verfasst. Die Herausgeberin Jennifer Lewis erzählt, dass Singapurs Akademiker davon ausgehen, dass dieses Verhalten der Bürger einzigartig in Singapur sei, lieber einem Reporter die zu Geschichte erzählen, als diese selbst zu schreiben. „Wenn wir einen Beitrag veröffentlichen, bitten wir den Bürger, der uns diese Geschichte übermittelt hat, diese zu lesen und gegebenenfalls zu korrigieren. Auch wenn etwas fehlt oder falsch wiedergegeben ist, korrigieren wir es.“ Lewis erzählt, dass die Art des Bürgerjournalismus sich von anderen Formaten grundlegend unterscheidet. „Vieles von dem, was unser Format des Bürgerjournalismus auszeichnet, ist neu, da es den spezifisch kulturellen Vorlieben entspricht.“ Der Gebrauch des Bürgerjournalismus variiert von Land zu Land und könnte somit aufgrund seiner unterschiedlichen Ausprägungen Inhalt eines eigenen Buches sein. Denn die breite Palette an Formaten hängt von kulturellen, sozialen, technischen und ökonomischen Faktoren ab.

Wie könnten Erneuerungen der Medien globalen Tendenzen, wie beispielsweise Oberflächlichkeit, Kommerzialisierung und Dekontextualisierung, entgegenwirken?

Stephen Quinn: Viele der Erneuerungen der Medien Asiens in den letzten Jahren hängen mit dem Gebrauch von Mobilfunktelefonen zusammen. Dies hat vielen Menschen neue Möglichkeiten eröffnet. Zum Beispiel wurden mehr als 1 Million Englischstunden als Teil des „BBC Janala Service“ auf Mobilfunktelefone herunter geladen. „Janala“ heißt „Fenster“ auf Bangla und bietet zahlreiche dreiminütige Hörübungen und Rätsel an, die durch Textmittelungen übermittelt werden. Eine dieser Übungseinheiten kostet 7 Cent. Menschen in Bangladesch bekommen so durch ihr Handy Zugang zu gänzlich neuen Bereichen der Fort- und Weiterbildung. Auch BBC hat eine eigene Webseite eingerichtet, auf der sie den freien Zugang zu diesen Lernportalen gewährleistet: http://www.bbcjanala.com/ Zielgruppe sind junge Leute, die von weniger als vier US$ pro Tag leben. Hier kostet eine Stunde 3 Taka oder 4,5 Cents. In dem Zeitraum zwischen November 2009 und Februar 2010 wurden insgesamt 1,030,583 Janala Stunden in Anspruch genommen. Nach Auskunft von BBC greifen mehr als zwei Drittel der Menschen, die den Service einmal in Anspruch genommen haben, immer wieder darauf zurück. Ungefähr 50 Millionen der Gesamtbevölkerung von 156 Millionen Menschen in Bangladesch verfügen über ein Handy. Mit 1,229 Menschen pro Quadratkilometer hat Bangladesch die höchste Bevölkerungsdichte weltweit.
In China lernen mehr Menschen Englisch als in einem anderen Land weltweit. Auch hier bieten die Mobilfunktelefone den schnellsten Zugang zu Informationen. Anfang des Jahres 2010 hatten mindestens 730 Millionen Menschen einen Internetzugang. Dies ist fast das Doppelte im Vergleich zu den Internetbenutzern im Jahr 2009 (384 Millionen). Daraus folgt, dass die Verbindung von Bildung und Internet beziehungsweise Handys eine große Chance für die Bevölkerung darstellt. Die „Pearson Publishing Group“ und der Mobilfunkhersteller Nokia entwickelte Anfang 2010 das Gemeinschaftsunternehmen „Beijing Mobiledu Technologies“, um die Menschen in China in Englisch über ihre Handys unterrichten zu können. Anfang 2010 verfügte Mobiledu über mehr als 20 Millionen Teilnehmer und monatlich über 1,5 Millionen aktive Nutzer. Die meisten Teilnehmer erhoffen sich durch die besseren Sprachkenntnisse eine größere Chance für eine erfolgreiche berufliche Karriere.

Zur Person: Stephen Quinn lehrte schon in fünf verschiedenen Ländern Journalismus und ist zurzeit Professor an der Deakin University in Australien. Von 1975 bis 1995 arbeitete er für verschiedene Tageszeitungen in Australien, BBC-TV, unabhängige Fernsehnachrichten und The Guardian in London. Außerdem war er bei der australischen Broadcasting Corporation in Sydney, im Nahost Broadcast Center und im neuseeländischen Fernsehen beschäftigt. Stephen Quinn hat bisher 14 Bücher verfasst, ist Mitglied des internationalen Komitees für Online-Nachrichten und ist als Berater für internationale Innovationen tätig.

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