Investigativer Journalismus in Lateinamerika: wirkungsvoll, aber geschwächt
Das System funktioniert fast reibungslos: Sie kämpfen mit Worten gegen bestehende verfilzte Regime, gewinnen so Wählermassen für sich, besetzen Regierungsposten und setzen dann fort, was sie vorher beklagt haben: Korruption. Die Presse in Lateinamerika mag viele Defizite haben. Doch in einem ist sie nach wie vor effektiv: Sie ist immer noch eine der Haupttriebfedern im Kampf gegen Missbrauch, Betrug und Veruntreuung der Amtsträger im öffentlichen Leben, schreibt der mehrfach für investigativen Journalismus international ausgezeichnete Leiter des Instituts IPYS in Peru, Ricardo Uceda. Désiré Therre hat den Artikel aus dem Spanischen ins Deutsche übertragen.
Lateinamerika ist eine der korruptesten Regionen der Erde. Transparency International stuft sie direkt hinter Afrika ein. Welche Rolle spielt der Journalismus in dem korrupten System? Es ist hinlänglich bekannt, dass die politische Klasse sich diesem Problem nicht stellt und vielleicht ist es nicht übertrieben zu sagen, dass dies ein Teil des Problems ist. Die Zahl der letzten beiden Generationen lateinamerikanischer Präsidenten, die direkt oder indirekt in die Korruption ihrer Regierung verwickelt waren, ist zweistellig. Die Enttäuschung über ehemalige Politiker in einigen Ländern führt teilweise dazu, dass neue Kandidaten unterstützt werden, die sich gegen das System stellen, eine Regierung bilden und – einmal an der Macht – selbst die Korruption wieder in Gang setzen. Im vergangenen Jahrzehnt war das in Peru der Fall. Das jüngste, markante Beispiel ist Venezuela.
Generell machen Politiker die Presse für ihren Prestigeverlust verantwortlich. Das bedeutendste Dokument in diesem Zusammenhang ist die Anfrage von 231 lateinamerikanischen Regierungschefs, die 2004 für das United Nations Development Programme (UNDP) einen Bericht über die regionale Demokratie erstellten. Diese Staatschefs werfen den Medien vor, gleichzeitig von verschiedenen wirtschaftlichen Gruppierungen abhängig zu sein, die der Regierung die Staatsmacht streitig machten und so eine Bedrohung für die regionale Demokratie seien – neben dem Rauschgifthandel und den faktischen Gewalten.
Bisweilen tragen die Medien zu dieser faktischen Gewalt bei, etwa, wenn sie ohne ausreichende Recherche Verantwortliche in der Presse öffentlich beschuldigen. Demokratische Prinzipien fordern eine sorgfältige Berichterstattung. Denn Demokratie lebt vom Qualitätsjournalismus. Er muss – gerade in Lateinamerika – weiter entwickelt werden. Viele gute Beispiele in den Medien haben gezeigt, wie skrupellose Regierungen Grenzen gesetzt werden können und müssen, wenn regionale demokratische Institutionen dort versagen.
Wenn einer erfolgreich die Korruption in Lateinamerika bekämpft, dann ist es der unabhängige und vor allem der investigative Journalismus. Jüngstes Beispiel dafür ist Costa Rica. Dort konnte aufgedeckt werden, dass drei ehemalige Präsidenten Korruptionsgelder angenommen haben, darunter auch Miguel Ángel Rodríguez, der mit den Aufgaben der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) beauftragt war. Ohne die Recherchen der Tageszeitung La Nación wären diese Fälle nicht ans Licht gekommen. Weitere Affären sind aus Peru bekannt geworden: Betroffen waren Expräsident Fujimori und sein Berater Vladimiro Montesinos. Nach dem Fall der Regierung war die Antikorruptionsbehörde auf die Hilfe peruanischer Journalisten angewiesen, um weiter aufklären zu können. Einen Großteil der Prozesse gegen Fujimori und Montesinos, denen Menschenrechtsverletzungen, Raub und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen wurden, dokumentierten unabhängige Medien. Die Reihe der Beispiele ist lang: Die argentinische Presse trug wesentlich dazu bei, die maßlosen Bereicherungen des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem aufzudecken. In Nicaragua brachten Journalisten die Veruntreuung öffentlicher Gelder durch Expräsident Arnoldo Alemán zu Tage. In Guatemala entdeckte die Presse schwarze Konten des ehemaligen Präsidenten Alfonso Portillo, die dieser in Panama führte.
Ohne die Arbeit der Presse wären diese Korruptionsfälle nicht bekannt geworden. Die darauf folgenden Urteile der Richter fielen enttäuschend mild aus. Seit sieben Jahren zeichnen das Institut für Presse und Gesellschaft (IPYS) und Transparency International die besten Recherchen über Korruption in Lateinamerika aus. So bleiben die wichtigsten Daten und journalistischen Arbeiten verzeichnet. Dazu gehören die Berichte über die Schmiergeldaffäre der Partei des brasilianischen Präsidenten, Luiz Ignácio Lula da Silva. Oder Beiträge über die Veruntreuung von Geldern der ehemaligen argentinischen Regierung unter Néstor Kirchner. Investigative Journalisten berichteten, dass die kolumbianische Regierung paramilitärische Kräfte im eigenen Land unterstütze; wie sich die obersten Richter in Ecuador sich skrupellos bereicherten oder die staatliche Ölgesellschaft in Paraguay Gelder veruntreute. Die Liste über kreativen Bestechungs-Strategien von Parlamentariern und anderen ließe sich mit Beispielen aus Mexiko und Guatemala beliebig lang fortführen. Korruption herrscht überall: nicht nur Vertreter des Staates, auch Personal aus den Medien, der Kirche und etwas Sportvereinen sind verwickelt.
Ganz klar hat der investigative Journalismus Grenzen und Defizite. Tatsache bleibt, dass er eine herausragende Rolle im Kampf gegen die Korruption spielt. Das muss heute besonders betont werden, da Medieneigner den investigativen Journalismus finanziell und personell kaum noch unterstützten. Indessen sind neue Bedrohungen aufgetaucht: Sie kommen aus dem Millieu des Drogenhandels und richten sich direkt gegen Journalisten, die dazu recherchieren.
Ricardo Uceda
Lima/Peru, Direktor von IPYS – Institut für Presse und Gesellschaft
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Dr. Dirk Foerger, Journalist, Leiter Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sofia/Bulgarien.